Wenn du dich ständig verantwortlich fühlst: Über das Nein-Sagen mit gutem Gewissen
- Sandra Rahm
- 2. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Warum du nicht für alles zuständig bist – und wie du Schuldgefühle überwindest
„Ich kann doch nicht einfach Nein sagen.“
Dahinter steckt oft mehr als Höflichkeit. Wer ständig springt, wenn andere rufen, verliert irgendwann das Gefühl für die eigenen Grenzen. Und sitzt dann erschöpft zwischen Erwartungen, schlechtem Gewissen und dem Wunsch, es allen recht zu machen – außer sich selbst.
Doch echte Selbstverantwortung heißt: Ich übernehme Verantwortung für das, wofür ich zuständig bin. Und ich lasse, was nicht meins ist.
Dauerverantwortung führt in die Überforderung
Wenn du dich immer verantwortlich fühlst – für das Gelingen, für das Klima im Team, für die Laune deiner Eltern, für das Glück deiner Kinder – dann bist du nicht fürsorglich. Dann bist du überfordert. Und irgendwann leer.
Denn dauerhafte Fremdverantwortung hat einen hohen Preis:
Du verlierst das Gespür dafür, wo deine Zuständigkeit endet – und wo jemand anderes übernehmen darf.
Typische Anzeichen:
Du hast Schuldgefühle, wenn du „Nein“ sagst.
Du fühlst dich schlecht, wenn jemand enttäuscht oder sauer auf dich ist.
Du übernimmst Aufgaben, auch wenn du innerlich protestierst.
Du willst „niemanden hängen lassen“ – und bleibst selbst auf der Strecke.

Du bist nicht für alles verantwortlich
Warum wir so schwer Nein sagen können
Dieses Muster entsteht nicht zufällig. Häufig wurzelt es in frühen Erfahrungen:
Eltern, die überfordert waren: Das Kind übernimmt emotionale Verantwortung („Ich muss für Mama stark sein.“).
Lob für Helfen, Strafen für Widerstand: Selbstaufgabe wird zur Tugend.
Angst vor Ablehnung: Liebe wird an Leistung oder Wohlverhalten geknüpft.
Aus diesen Prägungen wird eine innere Überzeugung:➡ Ich bin nur okay, wenn ich für andere da bin.➡ Ich darf keine Grenzen haben.➡ Wenn andere enttäuscht sind, habe ich versagt.
Verantwortung klären – Grenzen setzen – Schuldgefühle neu einordnen
1. Verantwortung sortieren
Nicht alles, was dich betrifft, ist deine Verantwortung. Und nicht alles, was andere betrifft, darfst du übernehmen.
🟠 Was ist wirklich deine Aufgabe?
Beispiel: Deine Kollegin fragt zum dritten Mal, ob du ihren Bericht gegenlesen kannst. Du bist selbst im Stress – also ist die ehrliche Antwort: „Heute geht’s bei mir nicht.“
🟢 Was gehört nicht zu dir – aber du hast es übernommen?
Beispiel: Dein Partner ist schlecht gelaunt. Du überlegst, was du falsch gemacht haben könntest. Aber: Seine Gefühle sind seine Verantwortung. Deine Aufgabe ist nicht, sie zu „reparieren“.
2. Grenzen setzen – und dabei klar bleiben
Grenzen müssen nicht laut sein. Aber klar.
Satzbeispiele:
„Ich kann das gerade nicht übernehmen.“
„Ich verstehe, dass du enttäuscht bist – und bleibe trotzdem bei meiner Entscheidung.“
„Ich brauche heute Zeit für mich.“
👉 All das sind keine Angriffe. Es sind selbstfürsorgliche Entscheidungen.
3. Schuldgefühle aushalten lernen
Schuldgefühle sind nicht immer ein Zeichen dafür, dass du etwas falsch machst. Sie sind oft ein Signal dafür, dass du ein altes Muster gerade durchbrichst.
Beispiel: Du sagst ein Treffen ab, weil du Ruhe brauchst – und fühlst dich schuldig. Statt sofort zurückzurudern, sag dir:
"Es ist okay, wenn jemand enttäuscht ist. Ich darf für mich sorgen."
"Mein Wert hängt nicht davon ab, ob alle zufrieden mit mir sind."
4. Neue Überzeugungen verankern
Ersetze alte Glaubenssätze durch stärkende Perspektiven:
Statt: Ich bin nur wertvoll, wenn ich funktioniere
→ Ich bin wertvoll, auch wenn ich Nein sage.
Statt: Ich darf niemanden enttäuschen
→ Ich darf ehrlich sein – auch wenn das nicht allen gefällt.
Statt: Ich muss mich kümmern
→ Ich darf Verantwortung dort lassen, wo sie hingehört.
Fazit: Nein sagen ist ein Akt der Selbstachtung
Du bist nicht weniger liebevoll, wenn du Nein sagst. Du bist nicht weniger hilfsbereit, wenn du deine Grenzen schützt. Und du bist nicht egoistisch, wenn du dich selbst an erste Stelle setzt.
Im Gegenteil: Nur wer sich selbst nicht verliert, kann auch wirklich für andere da sein – ohne auszubrennen. Nein sagen heißt nicht: Ich lehne dich ab. Es heißt: Ich nehme
mich ernst.
Und das ist nicht das Gegenteil von Verbindung. Es ist ihre Voraussetzung.








Kommentare